Kategorien
Künstliche Intelligenz

Forschung aus Düsseldorf: KI im Personalbereich

Lieber Gast,

mit Freude las ich am 01. Mai 2023 einen Artikel in der Rheinischen Post mit dem Titel »Wenn Algorithmen über Jobs entscheiden«.

Der Beitrag aus der Serie »Forschung in Düsseldorf« im Teil C4 der Zeitung greift ein heiß diskutiertes Thema im Human Resources Management auf: Nämlich die Frage, in wie weit Künstliche Intelligenz, besser: Data Science, und Rechenregeln (Algorithmen), die Auswahl von Mitarbeitern unterstützen sollen – und was Bewerber davon halten.

Denn wie viele Fachleute und Praktiker betonen, soll die Entscheidung über die Einstellung oder Entwicklung einer Person (Mitarbeiter sind kein Personal! Personal gab es im Kaiserreich, wie Oswald Neuberger so schön schreibt) in den Händen von Menschen bleiben: Der verantwortlichen Führungskräfte und der HR-Manager. Und genau dies fordert auch die DIN 33430 zu berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen.

Doch das KI Entscheidungen treffen sollen, suggeriert der Artikel von Ute Rasch im Untertitel, wenn sie schreibt: »Wie fühlen sich Menschen, wenn Künstliche Intelligenz Personalentscheidungen trifft?«. Zwischen der Beurteilung der Eignung und der Entscheidung liegt jedoch ein Unterschied – wie es dann auch etwas besser im Artikel und der dort zitieren Forschungsarbeit von Alina Köchling heißt bzw. es u.a. untersucht wurde.

Es geht also um im Artikel und der dort beschriebenen Forschung um Frage, wie der Mensch sich fühlt, wenn dessen Eignung in Bezug auf ein vorher definiertes Anforderungsprofil beurteilt wird. Genau dies macht auch ein, hoffentlich, strukturiert durchgeführtes Interview (z.B. in der Form des Multi-Modalen Interviews nach Schuler) oder ein Online-Test (siehe www.digitalassessment.de ab Mitte Mai 2023).

Diese Instrumente messen die Ausprägung (Wert, Score, Value) anforderungsrelevanter psychologischer Merkmale auf einer bestimmten Skala anhand von bestimmten Fragen und Aufgaben, die sorgfältig vorab entwickelt und deren Qualität anhand von Kennwerten (z.B. Test-Item-Korrelation, Trennschärfe) geprüft wurden.

Genauso wie das abschließende Instrument, sei es ein Eignungsinterview oder ein psychologisches Testverfahren, das nunmehr fast immer digital durchgeführt wird. Ohne eine solche Qualitätsprüfung anhand der Hauptgütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität sollte kein Interview oder Test die HR-Abteilung oder die Entwicklerwerkstatt verlassen.

Auch für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Human Resource Management und hier vor allem der Eignungsdiagnostik gelten die gleichen Anforderungen der DIN 33430 und der Beurteilung psychologischer Verfahren, wie Markus Langer von der Uni Marburg in seinem interessantem Online-Vortrag beim Forum Assessment e.V. ausführte. Auch Martin Kersting, ein ausgewiesener HR- und Diagnostik-Experte, erklärte kürzlich bei MWonline, was beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Auswahl und Entwicklung von Mitarbeitern und Führungskräften zu beachten ist (siehe auch das Interview mit ihm hier.)

Kategorien
Buch

Daten oder Intuition bei HR-Entscheidungen?

Lieber Gast,

Daten oder Intuition bei HR-Entscheidungen? Nun, die Frage, ob der Mensch mit all seiner Erfahrung und einigen Urteilsfehlern besser, schlechter oder ähnlich gut wie die statistischen Entscheidungen auf Basis von Zahlen, diagnostischen Instrumenten und Algorithmen des maschinellen und Deep Learning entscheidet, wird heiß diskutiert.

Viele glauben, dass mit immer mehr Daten und komplexeren Modelle auch bessere Entscheidungen resultieren. Doch wie Gerd Gigerenzer wiederholt betont, ist dem nicht immer so (siehe seine Bücher “Klick” und “Risiko”).

Auf der anderen Seiten wissen wir seit Paul Meehl (1954) und vielen weiteren Erfahrungen, Studien und aktuellen Meta-Analysen, dass HR-Entscheidungen auf Basis valider, reliabler und objektiver Testdaten im Schnitt zu einer höheren Trefferquote führt (unter Berücksichtigung der Basis- und Selektionsrate, siehe Taylor-Russell-Tafeln) – Und die Prognosen von Leistung und Arbeitszufriedenheit für eine Gruppe steigen.

Worin liegt also die Lösung? Offensichtlich in der sinnvollen Kombination beider Ansätze, wobei letztendlich immer der Mensch entscheidet muss. Für mich heißt dies somit: Statistik (inkl. KI) und Heuristik, oder: Daten und Intuition (wenn gleich auch die Daten zuerst kommen).

Daher freue ich mich, dass auch andere Fachleute solch einen Ansatz verfolgen, wie ich z.B. gestern entdeckte: Jürgen Deters, bis Ende 2022 Professor für Personalmanagement und Führung an der Leuphana Universität Lüneburg, publizierte vor kurzem sein lesenswertes Buch “Analytics und Intuition in the Process of Selecting Talent: A holistic Approach“ (de Gruyter).

Also nicht ja oder nein, sondern sowohl als auch! Denn dies war schon immer das evolutionäre Erfolgsgeheimnis unserer Spezies, die mit Verstand und Emotion bald auch wieder ihre Füße auf den Mond setzen wird.*

Herzliche Grüße, Stefan Klemens



* Neil Armstrong nutze bei seiner Landung 1969 neben seinem fliegerischen Können auch seine Intuition, als er sich gegen den vom Computer vorgeschlagenen Landeplatz entschied.

Foto: Stef13 / Midjourney (erstellt von mir mit dem KI-Tool Midjourney inkl. Anpassung der Farbe nach Rouge)

Weiterführende Informationen

Zu Jürgen Deters:
https://www.leuphana.de/universitaet/aktuell/ansicht/2022/12/12/verabschiedung-prof-dr-juergen-deters-leadership-heisst-mit-gutem-vorbild-vorangehen.html

Das Buch ist als Open Access Publication finanziert von der Uni Lüneburg bei de Gruyter erschienen und kann unter folgendem Link als PDF heruntergeladen werden – Kapitel 8 fokussiert sich auf “Digital technologies and artificial intelligence (AI): implications for using
intuition and analytics in personnel selection”: https://directory.doabooks.org/handle/20.500.12854/96547

Wer mit der Forschung von Gerd Gigerenzer und anderen zu Entscheidungen nicht vertraut ist, und Kritik an Daniel Kahneman und anderen sucht, dem empfehle ich seine (populär-)wissenschaftlichen Bücher “Klick: Wie wir in einer digitalen Welt die Kontrolle behalten und die richtigen Entscheidungen treffen” (2021, C. Bertelsmann), “Simply Rational: Decision Making in the Real World” (2015, Oxford University Press), “Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft” (2013, C. Bertelsmann) sowie als Mitautor: Katsikopoulos, K. V., Șimșek, Ö., Buckmann, M., & Gigerenzer, G. (2020). Classification in the wild: The science and art of transparent decision making. MIT Press.
https://www.hardingcenter.de/de/das-harding-zentrum/team/gerd-gigerenzer

Zur beruflichen Eignungsdiagnostik empfehle ich (natürlich) einen, zwei oder besser zehn Blicke (abhängig von Wissen und Erfahrungen ;-)) in die DIN 33430 – Hierzu erscheint im Mai 2023 im Beuth-Verlag eine aktualisierte Arbeit von Harald Ackerschott, Norbert S. Gantner und Günter Schmitt. Titel: “Eignungsdiagnostik: Qualifizierte Personalentscheidungen nach DIN 33430 – inklusive KI in der Personalauswahl – DIN SPEC 91426 zum Videointerview – internationale Anwendung mit ISO 10667 Assessment Service Delivery”.
https://www.beuth.de/de/publikation/eignungsdiagnostik-qualifizierte-personalentscheidungen-nach-din-33430/360913627

Hinweis

Diesen Beitrag habe ich gestern zuerst auf meinem LinkedIn veröffentlicht. Die beiden letzten weiterführenden Informationen zu Gerd Gigerenzer und zur DIN 33430 habe ich heute dort im Kommentar ergänzt. Weiter gab dort einige Kommentare anderer Mitglieder:
https://www.linkedin.com/posts/activity-7049047248977973248-EPMV